So jagt der Kaiseradler
Das ist ein mächtiger Greifvogel, nicht umsonst heißt er Kaiseradler! Von Ungarn aus breitet er sich langsam nach Westen aus und brütet jetzt im Osten Österreichs, in Tschechien und der Slowakei. Unser ungarischer Freund János Világosy kennt diesen herrlichen Greifvogel, den er uns bei Reisen zum Neusiedler See und Ungarn zeigt, gut und er ist immer wieder fasziniert von den Jagdstrategien dieses Herrschers der Lüfte. Jànos berichtet aus der Puszta:
Zwei junge Kaiseradler warten auf Beute
Ende Oktober habe ich Blässgänse auf einer Feuchtwiese in Osthortobagy am Rande von Balmazujvaros beobachtet. Das jetzt teilweise überschwemmte Weideland ist ein idealer Rastplatz für die nordischen Wildgänse. Frühmorgens fliegen sie in die umliegenden, geernteten Maisfelder, um dort Erntereste zu futtern. Sie kommen dann vormittags gegen zehn Uhr ins Feuchtgebiet zurück, um zu trinken und zu baden. Dann weiden sie auf den trockeneren Flächen, wo sie bis zum späten Nachmittag weiden, rasten und schlafen. Normalerweise breiten sich die Gänse dabei auf der Weide aus. An diesem Tag verhielten sie sich aber ganz anders. Alle waren wach und nervös und konzentrierten sich auf der tieferen Wasserfläche, wo sie hektisch herumschwammen. Auf der Wasserfläche wurde es so eng, dass immer wieder Gänse vom Rand aus dem Wasser nach außen gedrückt wurden. Diese spazierten ein paar Meter heraus, ehe sie plötzlich zurück aufs Wasser flogen. Und so ging es hin und her. Ich konnte die Ursache der Nervosität bald entdecken. Zwei junge Kaiseradler patrouillierten hoch über dem Gebiet, warteten auf ihre Chance und versetzten damit stundenlang zehntausende von Gänse in Panik.
Kaiseradler im ungarischen Nationalpark Hortobagy
Mein Kollege, Sándor Konyhás, beobachtete, wie ein Kaiseradler durch einen Scheinangriff einen Großtrappenhahn zum Auffliegen brachte. Plötzlich griff ein anderer Adler den Hahn von oben an. Zu seinem Glück erreichte die Trappe im letzten Moment ein hohes Maisfeld, wo sie sich verstecken konnte. Zwei Beispiele für das flexible Jagdverhalten des Kaiseradlers.
Die Zunahme der Kaiseradlerpopulation im ungarischen Nationalpark Hortobagy hat das Verhalten der Großtrappe stark beeinflusst. Früher hielten sich die Trappen gerne in großen Gruppen im offenen Gelände auf. Jetzt kann man sie eher am Rande von höheren Vegetation in kleineren Trupps beobachten. Auch Feldhasen und Fasane haben ihr Verhalten geändert und meiden die offenen Flächen mehr als früher.
Ein Kaiseradlerpaar jagt, wie andere typischen Greifvögel in der Steppe, gerne zusammen. Wenn sie koordiniert jagen, sind sie erfolgreicher und können größere Beute fangen, wie das Beispiel mit dem Großtrappenhahn zeigt. Ich habe selbst beobachtet, wie ein Kaiseradlerpaar einen adulten Feldhase jagte.
Wenn Kaiseradler anderen Vögeln die Beute abjagen
Kollegen in der Slowakei beobachteten einen Fuchs, der mit einer Wildente im Fang einen Acker überquerte. Plötzlich landete ein Kaiseradlerweibchen vor ihm und drohte mit ausgestreckten Flügeln dem Fuchs. Der Fuchs ließ seine Beute fallen und lief weg. Später gesellte sich das Adlermännchen zur Adlerfrau, wartete bis sie satt war und verzehrte die Reste der Beute. Es gibt mehrere Beobachtungen, wie Kaiseradler einen Fuchs angreifen.
Das Verhalten, wenn ein Tier vom anderen eine Beute abjagt, nennt man Kleptoparasitismus oder Beutestehlen, welches ein verbreitetes Verhalten in der Natur ist. Es sind viele Beobachtungen dokumentiert, wie Kaiseradler anderen Greifvögeln Beute abjagen. Die „Opfer“ waren: Würgfalke, Wanderfalke, Mäusebussard und Rohrweihe. Ich habe selbst beobachtet, wie ein Kaiseradler einen Seeadler heftig attackierte, um ihn aus der Nähe des Nistplatzes wegzujagen.
Kaiseradler an der Spitze der Nahrungspyramide
Seit der ersten erfolgreichen Kaiseradlerbrut im Jahre 2005 ist der Brutbestand der Kaiseradler im Bereich des Hortobágy Nationalparks auf 13 Paare gewachsen. Obwohl dieses Gebiet weit ausgedehnt ist und mehr als 220.000 Hektar umfasst, ist die Ansiedlung des Kaiseradlers doch überall zu bemerken. Die potenziellen Beutetiere haben ihr Verhalten geändert. Da der Kaiseradler eine opportunistische Greifvogelart ist, können sich weder Krähenvögel noch Greife, wie Bussarde, Weihen und Eulen und kleinere Säuger in der offenen Ebene sicher fühlen. Unserer Beobachtungen nach ist der Kaiseradler in der letzten Zeit der Spitzenprädator der Ungarischen Tiefebene geworden. Er steht an der Spitze der Nahrungspyramide.