Waldwasserläufer – sucht Gebrauchtnester
Jetzt zieht er wieder durch das Binnenland auf dem Weg zu seinen nordischen Brutgebieten. Aber auch in Deutschland ist er Brutvogel – vor allem im Nordosten. Ein Einzelgänger ist er meist und seine Bestimmung gilt vielen vogelkundlichen Einsteigenden als "schwierig".
Wie überhaupt der Anblick von Limikolen den meisten im Binnenland Vögel Beobachtenden nicht vertraut ist. Und die Wasserläufer, sechs Arten sind regelmäßig bei uns zu sehen, zählen eben auch dazu. Hier kommt meine persönliche Geschichte mit dem "Wawa" -- dem Waldwasserläufer.
Waldwasserläufer - das erste Kennenlernen
Den Zugvogel Waldwasserläufer lernte ich als Wintergast kennen, was damals als Besonderheit angesehen wurde. Der 31. Januar war für mich einige Jahre lang ein „Tag der Vogelbeobachtung“, den ich mit Freunden zusammen beging. Fast immer suchten wir dazu das siedlungsfreie Ruhrtal auf. Es besteht aus großen relativ naturfernen Grünlandbereichen, die wir durchwandern, wir queren eine Bahnstrecke und treten nach einem kleinen Viadukt in Freie, wo ein Wassergraben das Wasser, das sich vor dem Bahndamm staut, ableitet. Wir bleiben stehen und schauen in den Graben. Gräben zählen wir Zaunreihen, Baumgruppen, einzelne Büsche in der offenen Landschaft zu den Strukturen, die geübte Vogelbeobachtende im Blick haben sollten. Und der Blick in den Graben lohnt , kaum haben wir die Ferngläser gehoben, steigen zwei schwarz-weiße Vögel auf, die hell „pühitt- witt-witt“ rufen und hinter einer Biegung des Grabens wieder niedergehen. „Was war dass denn?“ fragt Klaus. „Irgendeine Limikole!“, antworte ich ratlos.
Es bedurfte des abendlichen Telefonats mit dem allwissenden Mentor und Blicke in die zwei Bestimmungsbücher, die ich schon hatte, um den Vogel mit Namen benennen zu können: Waldwasserläufer! Zwei Jahre später zeigte ein Blick in die Avifauna von Westfalen, die dann gerade erschien und dem jungen Vogelkundler zu Weihnachten geschenkt wurde, dass die Besonderheit nicht so besonders war, sondern genau aus dem Tal der Ruhr besonders viele Winterdaten vorliegen. So viele, dass man schon damals ein regelmäßiges Überwintern der schwarz-weißen Wasserläufer im Ruhrtal annahm.
Der Waldwasserläufer - im Portrait
Limikolen galten damals und für viele Einsteigende in die Vogelbeobachtung mit birdingtours ist das heute noch so, als „schwierig“. Die Fülle der Kleider, die einzelne Arten im Jahresverlauf anlegen und manchmal dafür sorgt, dass verschiedene Individuen einer Art sehr verschieden aussehen und die Fülle der Arten, die potenziell in Frage kommen, muss auf den ersten Blicken erschlagend wirken. Da ist der Rat von erfahrenen Beobachtern mehr als hilfreich. Und wir lernen so recht schnell, den Flussuferläufer mit dem weißen Keil zwischen Brust und Flügelbug vom Waldwasserläufer zu unterscheiden und wir lernen, dass der Waldwasserläufer einen Zügelstreif (verbindet Auge mit Schnabelbasis) und der Bruchwasserläufer einen Augenstreif (läuft „durch“ das Auge) zeigt, was neben anderen Merkmalen, die drei Arten sicher von einander unterscheiden lässt. Aber man sieht manche Artkennzeichen eben nur, wenn von ihnen weiß.
Der Waldwasserläufer zählt zu den Wasserläufern (Tringa), diese bilden in innerhalb der Familie der Schnepfenvögel eine eigene Gattung, die grazile, wohl proportionierte schnepfenähnliche Vögel zusammenfasst, die meist als elegant wahrgenommen werden. Bei uns brüten oder sind regelmäßig zu beobachten: Rot- und Grünschenkel, Dunkler Wasserläufer, Teich-, Bruch-, Waldwasserläufer und der Flussuferläufer. Alle übrigens mit gut unterscheidbaren Rufen. Rotschenkel, Waldwasserläufer und Flussuferläufer brüten regelmäßig bei uns, währen die anderen Arten sich im im Nordosten Europas fortpflanzen und bei regelmäßige und nicht seltene Durchzügler und Gäste vor allem im Binnenland sind. Sie suchen ihre vielfältige Nahrung, die allerlei Kleintiere im Wasser, Schnecken, Insektenlarven bis zu Molchen und sogar Kleinfischen umfasst, meist im Seichtwasser. Einige können gut gut schwimmen – wie der Dunkle Wasserläufer – und unternehmen rennend im Wasser Jagd auf Kleinfische und andere brüten an Bächen in Skandinavien und sind beim Fliegenfangen sehr erfolgreich – Flussuferläufer.
Der Waldwasserläufer - das Brutgebiet
Der Waldwasserläufer hat eine Brutbiologie, die unter Limikolen außergewöhnlich ist: Er brütet in verlassenen Drosselnestern. Fast alle Angehörige der großen Ordnung der Regenpfeiferartigen (Charadriusformes) brüten auf dem Boden und das meist in offenen Wiesen- oder Sumpf- und Moorlandschaften, der Waldwasserläufer bevorzugt Bruchwälder und sucht dort nach Nestern von Amseln und Singdrosseln und legt seine vier Eier hinein. Auch Nester von anderen, größeren Vögeln dienen ihnen als Plattform, so Nester von Ringeltauben, Krähen, Eichelhähern und sogar Eichhörnchenkobel. Gut drei Wochen brüten die beiden Eltern und locken dann die jungen Wasserläufer, die wie ihre Verwandten, Nestflüchter sind, zum Herausspringen. Die Jungen werden bis zu vier Wochen von den Eltern geführt.
So wie sie im Wald brüten, meiden sie auf dem Zug große offene Flächen und bevorzugen kleine Tümpel oder halten sich typischerweise an vegetationsreichen Rändern auf. Manchmal reichen ihnen Pfützen zur Rast oder schmale Entwässerungsgraben. Das ist ein für Limikolen, die Bäume meiden und Plätze suchen, an denen sie nicht plötzlich überrascht werden können, ein eher untypisches Verhalten. Waldwasserläufer bilden auch keine Schwärme und sind selten in Trupps zu sehen, die mehr als fünf Mitglieder haben. Wie manche Vogelarten, die an Gewässerrändern leben – wie Stelzen, Wasseramsel, andere Wasserläufer oder auch Bekassinen und Zwergschnepfen – machen auch Waldwasserläufer rhythmische Bewegungen mit dem ganzen Körper, das als Schwanzwippen bezeichnet wird, aber eher den gesamten hinteren Körper betrifft – ein Verhalten für das die Biologen noch keine anerkannte oder schlüssige Theorie gefunden haben.
Gut, dass es noch ausreichend Rätsel gibt.
Thomas Griesohn-Pflieger